Page 74 - Wildstyle & Tattoo Magazin - Ausgabe 2
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einer Tätowiererkarriere bedeuten konnte, sich spezialisiert hatten!
denn es gab keine Berufshaftpficht & keine Egal wo auf der Welt man war, man
Rechtsschutzversicherung, die einen gegen konnte arbeiten …mit einer kleinen
„Kunstfehler“ versicherte!! Man musste Grundausrüstung konnte ich jederzeit
persönlich zu seinen Arbeiten stehen, mit tätowieren! Hatte man eine Auto- oder
seinem guten Namen. Das Aushängeschild!! Motorradbatterie, war man nicht mal auf
eine Steckdose angewiesen!
Also blieb einem nur übrig wirklich
sauber und gewissenhaft zu arbeiten, da Dafür brauchte man aber
man sich sonst persönlich rechtfertigen Hintergrundwissen, dass man in keinem
musste: vor sich selbst, vor dem Kunden, Studio vorgekaut bekam, in keinem Buch
unter Umständen vorm Richter sowie nachlesen konnte, geschweige denn Wif
vor der Tätowierergemeinschaft, die so Kurse oder das Internet besuchen konnte
einen sicherlich nicht in den eigenen - die einzige Möglichkeit von den Besten
Reihen akzeptierte! Außerdem war diese der Welt zu lernen war, sie zu besuchen und
so überschaubar, dass Fehler sich sofort ihnen über die Schulter zu sehen!
herumsprachen und man sich eigentlich So wurden unterschiedliche Menschen
keine erlauben durfte!! Sehr schnell stand meine Meister, und sie waren nicht immer
der eigene Name für Infektionen oder große Tätowierer! Vor Allem habe ich
schlecht gestochene Tattoos, und das war gelernt tolerant zu sein, den Menschen und
meist das Ende der Tätowiererkarriere!!! seine Beweggründe zu akzeptieren, die
Denn nicht in den Reihen der Tätowierer verschiedenen Kulturen zu respektieren,
akzeptiert zu werden machte einem das und dankbar zu sein, dafür, dass ich all diese
Leben als Tätowierer schwer bis unmöglich, Erfahrungen machen durfte!
denn der gute Name war die Eintrittskarte zu Ich persönlich war die ersten Jahre als
Guestspots, Conventions und Suppliern, die Autodidakt alleine auf mich gestellt, doch
nur an Tätowierer verkauften!! Und nur so bald schon lernte ich die begnadeten
konnte man den anderen über die Schulter Fuhrmann- Zwillinge Jürgen und Claus
schauen, meist die einzige Art zu lernen! kennen. Mit Claus arbeitete ich viele Jahre,
Bereits das war eine riesengroße Ehre!! und konnte auf ihm die ersten Tattoos
meines großen Vorbildes Filip Leu sehen!
Als Anfänger war das Mindeste, was man Und 1985 war Filip in Wien in meinem
mitbringen musste, die Bereitschaft für kein Studio und ich konnte Seite an Seite mit ihm
oder kaum Geld zu arbeiten, zumindest arbeiten!! Von ihm inspiriert, arbeitete ich
bis man sich einen Namen gemacht hat!! hart wie nie zuvor und lernte einiges über
Im Gegenteil … Haut zum Arbeiten zu Hygiene. Er war der erste, der Kabel und
bekommen war eine Ehre! Spritzfaschen mit Jausensackerl schützte.
Meine erste „größere“ Tattoo-Reise ging Eine Maßnahme, die ich später sogar
nach Portugal und Südspanien und dort Großmeistern wie Ed Hardy zeigen durfte!
verdiente ich das erste Mal Geld mit meinen 1987 besuchte ich den Vater von Filip, Felix
Tattoos!! Immerhin arbeitete ich schon seit Leu und Jahre später war ich wieder mit
5 Jahren als Tätowierer, und hatte schon Filip, Sean Vasquez und Paul Boots auf der
einige Tattoos gemacht! Im Durchschnitt „Tattoo The Earth Tour“ unterwegs!
bekam ich 700 Pesetas etwa 5 € für ein 1989 führte mich mein Weg einmal mehr
Tattoo, 1 oder 2 Biere dazu, und ein bisschen zu einem inzwischen alten Bekannten - ins
was zu essen. Studio von Mickey Sharpz. Mehrere Monate,
Das meiste was ich zu der Zeit für ein nicht nur um Tattoos zu machen, sondern
Tattoo bekam, waren 35 €. Dafür musste ich auch, um von ihm zu lernen, wie man
allerdings einen ganzen Rücken tätowieren Tattoomaschinen baut!
in einer Sitzung, die 12 Stunden dauerte!
Das Motiv werde ich nie vergessen: Es war Oder meine USA Reise 1989 nach Lagoona
der heilige Antonius! Beach ins Lagoona Tattoo, wo ich nicht
nur neben Leo Zulueta arbeiten durfte,
Der eigentliche Grund, warum ich sondern auch von Petty Pavlik die Kunst des
tätowieren wollte, war, dass mich die Freiheit kosmetischen Tätowierens lernte!!
fasizinierte, die man als Tätowierer hatte: Die
Freiheit nach eigenen Regeln zu spielen. Die Wer früher zu einem „Tätowierer“ ging, der
Freiheit zu arbeiten wann ich will, an keine sich in der weltweiten (sehr überblickbaren)
Dienstzeiten gebunden zu sein! Die Freiheit Szene etabliert hatte, konnte sich sicher sein,
auszusehen wie ich will- kein Chef konnte dass er in guten Händen war, bei jemanden,
mir Vorschriften machen! der nicht nur Künstler, Handwerker und
Techniker war, sondern weit mehr:
Ich wollte mir die Welt ansehen, Kulturen Man brauchte anatomische Kenntnisse,
kennenlernen und nur so lange an einem musste Wissen über Sterilisationsverfahren
Ort bleiben, solange ich das auch will. haben, was viel mehr beinhaltete, als einen
Ohne Verpfichtungen, außer die, mir selbst Autoklaven zu bedienen!! Denn kaum
gegenüber. All das konnte mir das „Pecken“ jemand hatte einen Autoklaven, besonders
bieten. wenn man Mitteleuropa oder Nordamerika
Heute weiß ich, dass ich nur so viel Wissen verlassen hatte! Und auch im Urwald musste
sammeln konnte, weil ich bereit war zu es gewährleistet sein, sich selbst und seinen
Reisen und von Menschen lernen durfte, die Kunden zu schützen.
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